Serie Logistik: Letzte Meile, letzter Nerv – wie die Last Mile transformiert werden muss

29.08.2019 – Samuel Krist

Die sogenannte letzte Meile: Wenn man bedenkt, welche Wege und logistische Meisterleistungen manche Sendungen von der Produktion auf einem anderen Kontinent bis vor die Haustür hinter sich haben, würde man intuitiv wohl kaum davon ausgehen, dass dieser letzte Teil der Lieferkette der schwerste und teuerste ist. Paket ins Auto, durch die Stadt gedüst, abgegeben, fertig. Das klingt einfach. Doch wer in den vergangenen zehn Jahren schon einmal ein Paket verschickt oder geordert hat und noch dazu in einer Großstadt lebt, kennt die Realität. Chaos!

Warum das so ist, wie es weitergeht und was man jetzt am besten tun sollte, erfahrt ihr hier.

Die Letzte Meile heute

Dass die Logistikbranche derzeit an ihre Kapazitätsgrenzen kommt, liegt in erster Linie daran, dass sie enorm wächst. Das hängt stark mit der Entwicklung des B2C-Onlinehandels, also dem direkten Versand an den Endkonsumenten, zusammen. International hat der Paketversand-Markt einen Wert von 240 Milliarden Euro, davon entfallen über 103 Milliarden auf die letzte Meile. In Deutschland hat dieser mittlerweile einen Marktanteil von 56 Prozent am gesamten Online-Handel und wächst stetig. Insgesamt ist die Präferenz, Produkte Online zu kaufen bei 45 Prozent angekommen, es ist recht klar, wohin die Reise gehen wird: Immer mehr kleine Pakete werden auf der letzten Meile direkt den Konsumenten geliefert werden, anstatt in großen Sendungen an stationäre Geschäfte und klassische Einzelhändler.

Das wird die Gesamtzahl aller Pakete drastisch in die Höhe treiben: 2016 waren es allein in Deutschland 3,16 Milliarden Pakete, bis 2021 wird ein Anstieg auf 4,15 Milliarden erwartet. Auch viele Produktkategorien wie Möbel oder Lebensmittel, die aufgrund schwieriger Logistik bisher fast ausschließlich dem stationären Handel vorenthalten waren, werden immer häufiger Online angeboten und auch nachgefragt. Diese Produktkategorien bringen neue Probleme mit sich — sehr enge Zustellfenster oder der Bedarf an zwei oder mehr Lieferanten — doch es sind bei Weitem nicht die einzigen.

Wo hakt es?

Die Pakete werden mehr, die Infrastruktur der Innenstädte immer stärker belastet, die Erwartungen der Kunden immer höher. Gleichzeitig geht durch steigende Komplexität und die schiere Masse der Lieferungen die Effizienz insgesamt flöten — es werden also mehr Fahrer und Fahrzeuge gebraucht, als eigentlich nötig wären, und das in Zeiten starken Personalmangels. Die großen Logistikdienstleister und etliche Start Ups werkeln an eigenen Lösungen und Innovationen, die mitunter nicht schlecht sind, jedoch nur einen Teil des Problems anpacken, sei es die Minimierung von Emissionen oder die Automatisierung der letzten Meile durch autonome Fahrzeuge, Drohnen und Roboter. E-Autos werden das Problem der überfüllten Innenstädte nicht lösen, Drohnen, Zustellroboter und E-Bikes in naher Zukunft nicht die schiere Masse der Pakete bewältigen können.

Die Vision fürs große Ganze fehlt.

Doch wie geht’s weiter? Schauen wir zuerst einmal auf die involvierten Akteure und ihre Bedürfnisse:

- Die Onlinehändler:
Wollen vor allem eine sichere, günstige und schnelle Zustellung. 50 Prozent respektive 40 Prozent sehen Liefergenauigkeit sowie Liefergeschwindigkeit als die wichtigsten Anforderungen an die Logistik in den nächsten fünf Jahren. Gleichzeitig erwarten nur knapp über 20 Prozent, dass Weiterentwicklungen der letzten Meile und City Logistics im gleichen Zeitraum wichtig werden — hier ist noch jede Menge Potenzial vorhanden!

- Die Logistikunternehmen:
Auch sie wollen eine möglichst günstige Lieferung anbieten und dabei rentabel sein. Eine hohe Kundenzufriedenheit auf Händler- sowie Konsumentenseite ist hierbei auf lange Sicht überlebensnotwendig. Außerdem sind sie an Planungssicherheit interessiert, um ihre Kapazitäten so effizient wie möglich auszulasten.

- Die öffentliche Hand:
Arbeitet, auch wenn das manchmal vergessen wird, im Auftrag der Bürger. Will hierbei den Spagat halten zwischen einer gut organisierten, lebenswerten Stadt und einer funktionierenden Wirtschaft. Auf die letzte Meile übertragen heißt das: Eine möglichst emissionsarme Zustellung und entlastete Infrastruktur, gleichzeitig möglichst wenig Einschränkungen für die Logistik.

- Die Konsumenten:
Werden immer anspruchsvoller und wollen eine immer genauere, zuverlässigere und günstigere Lieferung, die dabei auch noch so umweltfreundlich wie möglich ist. Vor allem sind sie aber am Endergebnis interessiert: Solange eine Bestellung reibungslos den Weg zu ihnen findet, ist das Wie erst einmal sekundär.

Alle wollen nur das Eine: Mehr Effizienz

Nun wird oft behauptet, diese Wünsche und Anforderungen wären konträr und alle Akteure hätten unterschiedliche Ziele. Das ist Quatsch. Im Endeffekt wollen sie alle das Gleiche: mehr Effizienz. Durch mehr Effizienz werden alle Probleme beim Schopf gepackt und die Situation, wenngleich auch nicht komplett gelöst, zumindest verbessert. Denn weniger Leerfahrten, weniger Lieferwägen auf den Straßen und weniger erfolglose Zustellversuche bedeuten weniger Emissionen, kleinere Kosten, höhere Anwohner- und Kundenzufriedenheit.

Da die großen Logistikunternehmen bisher jedoch alle ihr eigenes Süppchen kochen, muss ein Umdenken zu einer zentralen Lösung hin stattfinden, die allen Beteiligten Vorteile bringt. Und zwar so erhebliche, dass auch konkurrierende Unternehmen gewillt sind, zusammenzuarbeiten und zum Beispiel ihre Daten zu teilen. Man muss dafür alle Akteure frühzeitig einbinden und Anreize schaffen. Wenn bei den Logistikunternehmen die Kassen klingeln, weil die Effizienz enorm in die Höhe schnellt und die Konsumenten gleichzeitig eine grünere, schnellere, zuverlässigere und günstigere Lieferung bekommen, haben konzentrierte Planungen hohe Erfolgsaussichten.

Lokale Lösungen – City Logistics

Der Spielball liegt nun also bei den städtischen Verwaltungen, denn ohne Bewegung in Politik und Bürokratie wird es keine weit greifenden Lösungen geben. Da jede Stadt unzählige lokale Besonderheiten und einzigartige Infrastruktur aufweist, werden diese niemals in Eigenregie von jedem global agierenden Logistikdienstleister erfasst und optimal genutzt werden. Zu Bedenken sind hierbei alternative Transportwege wie Wasserstraßen und ähnliches, mögliche Standorte für Mikrohubs und Ladestationen für elektronische Transporter-Flotten auf ungenutzten Flächen, zeitsensitive Lieferkonzepte für optimale Straßennutzung und Wissen über Beschränkungen in eng bebauten Altstädten und dergleichen. Umfassende Letzte Meile Konzepte für Stadtteile oder gesamte Innenstädte in diesem Sinne werden City Logistics genannt und wurden bisher in der Regel von städtischer Seite aus angestoßen, was jedoch nicht heißt, das dies so bleiben muss. Das Konzept der City Logistics wird von Eiichi Taniguchi so definiert:

“the process for totally optimising the logistics and transport activities by private companies with support of advanced information systems in urban areas considering the traffic environment, the traffic congestion, the traffic safety and the energy savings within the framework of a market economy.”

Im Optimalfall heißt das: Voll ausgelastete Touren ohne mehrmalige Zustellungsversuche, das ganze lokal organisiert, die Daten von einer unabhängigen Instanz ausgewertet und optimal genutzt. Weniger Lieferverkehr, keine Leerfahrten. Weniger Stau, Unfälle und verstopfte Straßen. Mehr verfügbare Parkplätze, weniger Kraftstoffverbrauch. Bessere Luft, schnellere Zustellung, attraktivere Städte. Letztendlich weniger Kosten, höhere Gewinne und mehr Zufriedenheit auf allen Seiten.

Um das zu erreichen, gibt es erfolgversprechende Ansatzpunkte.

Ein vielversprechender Ansatz – Joint Delivery Systems

Ein gutes Beispiel sind Joint Delivery Systems (JDS). Hierbei werden die Lieferungen an einem am Stadtrand gelegenen Güterverteilzentrum angeliefert, von dort aus können sie von einer städtisch beauftragten Zustellungsfirma, welche Anteilig von der Stadt und den Logistikunternehmen, die den Service in Anspruch nehmen, gebündelt auf optimalen Routen an die Geschäfte und Endkonsumenten ausgeliefert werden, optimalerweise CO2-Neutral durch Elektrofahrzeuge oder E-Lastenbikes. Diese Zustellfirma ist aber auch durchaus als lokales Joint Venture von konkurrierenden Logistikbetrieben denkbar. Das Resultat bleibt das gleiche: die sperrigen Liefervans bleiben vor der Stadtgrenze, mit allen verbundenen Vorteilen für Sauberkeit und Infrastruktur. Erfolgreich vorgemacht hat dieses Modell die japanische Stadt Fukuoka, dessen Einkaufsbezirk Tenjin schon seit 1978 über ein JDS verfügt und die letzte Meile damit konstruktiv steuert. In Zukunft können in dieses Modell auch autonom fahrende LKW optimal eingebunden werden, wenn sich das JDS am Stadtrand befindet und dadurch leichter ansteuern lässt als innerstädtische Verteilzentren.

TL;DR:

Auf der letzten Meile der Logistik treffen immer höhere Ansprüche und komplexere Bedingungen auf einen immens wachsenden Markt. Durch ein Umdenken der Logistikdienstleister weg vom klassischen Konkurrenzdenken hin zu Kooperation und einem weitsichtigen planen der städtischen Verwaltungen könnten alle Stakeholder zusammengebracht werden. Weitreichende Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren kann letztendlich immense Vorteile für alle Beteiligten bringen, dabei beruht alles auf einem simplen Grundsatz: Mehr Effizienz! Wer smart ist, bildet jetzt Allianzen und sichert sich ein größeres Stück vom Kuchen.

Alleine bekommt man ihn sowieso nicht verputzt.