Die Zukunft der Zusammenarbeit ist schon da, aber noch nicht überall gleich verteilt

08.04.2020 – Sarah Hoidn

Die ganze Welt diskutiert, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten werden. Häufig ist dabei die Rede vom Ende der Hierarchien, vom Siegeszug der Holokratie: Feste Strukturen gehören der Vergangenheit an, Entscheidungen werden gemeinsam gefällt oder eben von denen, die am meisten Fachkompetenz mitbringen – ganz unabhängig von Jobtitel oder Einkommensklasse. Aber: In der Realität lässt sich diese Zukunft nur selten blicken. Herzlich willkommen im Übergang. Höchste Zeit, über das Zusammenspiel von Struktur und Strategie, unterschiedliche Organisationsstrukturen und partnerschaftliche Projektarbeit zu sprechen.

 
 
Herausforderung 1: Struktur vs. Strategie

So phrasenhaft es klingt: Die einzige Konstante in der aktuellen und zukünftigen Arbeitswelt ist die Veränderung. Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen etablierte Unternehmen mit dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Wandel mithalten und schnell reagieren können. Das erfordert Geschwindigkeit, Adaptionsfähigkeit und Bereitschaft für strukturellen Wandel. Was daran hindert sind laut befragten Change Manager*innen und Consultants starre Prozesse und traditionelle Strukturen. Oder mit der TU München (2018) gesagt: “die Organisationsstruktur [ist] das Wichtigste […], was Unternehmen vor dem Hintergrund der Digitalisierung verändern müssen.“

Aus Sicht von low hierarchy, holokratisch oder zirkulär strukturierten Agenturen und jungen Unternehmen ist das leicht anzukreiden. Die Belehrung von außen ist für Traditionalisten aber genauso leicht zu verwerfen. Einer Umfrage des Kienbaum Instituts zufolge sind 55 Prozent der befragten Mitarbeitenden verschiedener Mittel- und Großunternehmen selbst der Meinung, ihre aktuelle Organisationsstruktur sei für die Zukunft ungeeignet (Kienbaum, 2016). Diese Position vertritt auch die Mehrheit der durch Deloitte 2016 befragten Führungskräfte (Vgl. Deloitte Global Human Capital Trends Report 2016. The new organization: Different by design).

As companies strive to become more agile and customer-focused, organizations are shifting their structures from traditional, functional models toward interconnected, flexible teams. More than nine out of 10 executives surveyed (92 percent) rate organizational structure as a top priority, and nearly half (45 percent) report that their companies are either in the middle of a restructuring process (39 percent) or planning one (6 percent).”

 
Zugespitzt gesagt: Traditionell aufgestellte Unternehmen sabotieren sich strukturell bei ihren eigenen Innovationsvorhaben. Wo Innovation und digitale Wettbewerbsfähigkeit aus sich selbst heraus unmöglich wird, wenden sich Unternehmen häufig nach Außen und suchen Unterstützung bei Agenturen, Beratungen oder Startups.

Eine gute Idee, denn ambitionierte digitale Initiativen entstehen wahrscheinlicher in Zusammenarbeit. Daher lohnt sich der Austausch und das Hinzuziehen von Partner*innen, Dienstleister*innen und Kund*innen für alle Seiten. Durch Partnerschaften – insbesondere wenn sie langfristig angelegt sind – erhält Projektarbeit einen verbindlicheren Charakter. In einer Arbeitswelt, in der Aufgaben und Entscheidungsfindung zunehmend komplexer werden, werden Kollaboration, Offenheit und Diversität zum Wettbewerbsvorteil (McKinsey Studies).

 
 
Herausforderung 2: Zusammenarbeit verschiedener Organisationsstrukturen

Innerhalb starrer Unternehmensstrukturen wird meist nicht nur die interne Zusammenarbeit erschwert, sondern allem voran auch die externe mit Projektpartnern, Digitalagenturen und Startups. Wie so häufig liegt die Herausforderung in der Kommunikation – der Beobachtung nach insbesondere in der Kommunikation auf unterschiedlichen Hierarchieebenen.

Im besten Fall werden lediglich Chancen bezüglich Austausch mit digitalen Playern am Markt, Know How-Transfer und Kooperationen leichtfertig verschenkt. Im Worst Case scheitern ganze Digitalisierungsvorhaben und -strategien an unvereinbaren Strukturen und Kommunikation.

Wie schaffen wir es, in der derzeitigen Arbeitswelt – einem Potpourri aus Organisationsmodellen – unternehmensübergreifend erfolgreich zusammenzuarbeiten, wertvoll zu vermitteln und für sämtliche Strukturen vereinbar zu kommunizieren?

 
 
„Closing the Gap“ zwischen verschiedenen Organisationsstrukturen

Von außen können Agenturen an Strukturen, in denen Projektparteien stecken, kaum etwas ändern. Allerdings lässt sich darauf reagieren, und zwar:

  1. indem sie die eigenen Prozesse im Rahmen der Zusammenarbeit anpassen und
  2. durch eine explizite strategische Begleitung.

Wie machen wir das? In der Projektrealität adaptieren wir unsere Kommunikationsweisen, -Mittel und -Prozesse in so weit, wie sie mit den Strukturen unserer Auftraggeber*innen vereinbar sind. Heißt: Wir gestalten die Zusammenarbeit und Kommunikation aktiv, indem wir mehrere direkte Ansprechpersonen für verschiedene Bereiche innerhalb des Projekts aufstellen.

Hierarchiestrukturen auf Auftraggeberseite begegnen wir, indem wir sie bei uns non-hierarchisch durch zusätzlich eingeführte Rollen spiegeln. Kurz gesagt: Wir bilden die Strukturen der Projektpartner ab, um auf unterschiedlichen Ebenen Kommunikation zu ermöglichen, ohne dass wir selbst hierarchisch aufgestellt sind. Neben Product Owner, Technical Director und Scrum Master haben wir die Rolle des Strategic Project Development eingeführt.

Diese Rolle der strategischen Projektbegleitung agiert als eine Art Filter, die den gestalterischen Spielraum des Dev-Teams sichert und gleichzeitig Anfragen der Auftraggeber*innen auf Nutzen und Durchsetzbarkeit analysiert, entsprechend beraten und frühzeitig eingreifen kann. Zusätzliche Vorteile für das agile Team sind die Entlastung für Teammitglieder, die besonders mit kommunikativen Aufgaben betreut sind, wie Product Owner und Projektmanager*innen.

Die Einführung einer zusätzlichen Projekt- bzw. Kommunikationsebene erlaubt uns die Aufteilung der Zusammenarbeit in eine strategische und operative Ebene und damit mehr Raum für die explizite Gestaltung innerhalb des Projekts. Gerade bei Großprojekten kann das beide Seiten entlasten und zugleich die Umsetzungswahrscheinlichkeit erhöhen.

  
Partnerschaftliche Zusammenarbeit

„Die Komplexität der Aufgaben bedingt, dass sie nur noch partnerschaftlich umgesetzt werden können. Es werden also nicht nur Lösungen präsentiert und verkauft, sondern strategische, langfristige Partnerschaften eingegangen, um Lösungen im Verbund zu entwickeln.“ – Alexander Janthur, Inhaber & CEO von Turbine Kreuzberg

 
Doch was ist genau damit gemeint? Partnerschaftliche Zusammenarbeit bedeutet für uns: echtes Vertrauen aufzubauen zu Projektpartner*innen, die aus einer anders organisierten Firmenstruktur kommen, weg vom Stakeholder-Management, hin zu Stakeholder-Trust. Im Optimalfall führt dies zum Wegfallen vieler Schleifen. Zudem macht es kommunikative Maßnahmen überflüssig, die aufwändig, aber an sich unnötig sind und rein zur Absicherung dienen.

Indem wir gemeinsam nicht nur das Projekt, sondern auch die Zusammenarbeit und Kommunikation individuell gestalten, können wir wirklich sinnvolle Prozesse, Abstimmungen und Controlling-Schleifen etablieren, regelmäßige Gespräche führen und Aufgaben verteilen. Es geht also um echte Mitverantwortung für das Projekt und die Zusammenarbeit. Das Ganze erhöht die Sicherheit für beiden Seiten – durch partnerschaftliches Zusammenarbeiten, gleichberechtigte Informationsverteilung und die Möglichkeit, bei Fehlern frühzeitig eingreifen zu können.

 
 
Involviert sein, involviert bleiben.

Zukünftige Arbeit wird, auch innerhalb von Unternehmen, immer mehr projektorientiert funktionieren. Klare Grenzen zwischen internen und externen Rollen, die vielerorts bislang als naturgegeben angesehen wurden, verwischen immer mehr.

Um damit umgehen zu können, müssen neue Formen der Zusammenarbeit erschlossen werden, es geht um ein aktives Involviertsein von Agenturen in innovativen Projekten und Zusammenschlüssen. Dieses Verweben der Strukturen, bis hin zum Finanziellen, führt zwangsläufig zu hohem Engagement aller Beteiligten in Zukunftsprojekten und damit zu größeren Erfolgen. Vorbei sind die Zeiten, in denen Projekte mehr schlecht als recht abgeliefert werden, nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.

Digitalisierung, Innovation und die damit einhergehende Komplexität verunsichert und braucht daher zusätzliche und qualitative Kommunikation und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Erfolgreiche Kommunikation und Kooperation basiert auf Verständnis, Vertrauen, Sicherheit und Transparenz – und damit vor allem auch auf Stakeholdern, die von Beginn an involviert sind, die Strategie während des gesamten Projekts mitgestalten und kontinuierlich involviert bleiben.

 
 
Das Ziel: Der gemeinsame Erfolg des Projekts, nicht das reine Zufriedenstellen des Auftraggebers

Wir befinden uns in einer Übergangszeit – in einem Konglomerat, in dem traditionelle, starre Hierarchiesysteme genauso existieren, wie holokratisch organisierte Startups, junge Unternehmen und Agenturen. Allerdings nicht unabhängig voneinander, sondern in regem und direktem Austausch. Daher braucht die zukünftige Arbeitswelt Mut zur Zusammenarbeit. In Zeiten allgegenwertigen Innovationsdrucks, höherer Komplexität von Entscheidungen und Optionsvielfalt sollte das gemeinsame Ziel heißen: Synergien aus Struktur und Strategie schaffen. Und eine Partnerschaftliche Zusammenarbeit ermöglichen. Fürs Projekt. Denn das ist, was zählt.