Mit Technologie Zukunft bauen
Digitalisierung in der Bauwirtschaft

17.02.2020 – Daniel Planert

Beim Thema Digitalisierung hat die Bauwirtschaft noch Nachholbedarf. Klingt dröge, kann aber ein ziemlich heißes Eisen sein: In London steht das "Walkie Talkie Building", dessen Glasfassade die Sonne wie ein Hohlspiegel einfängt und auf die Straße wirft. Das hat 2013 Autos zum Schmelzen gebracht. Statt errechneter 36 Grad erreichten die Strahlen bis zu 72 Grad Celsius.

"Ich wusste, dass das passieren kann", sagte der Architekt Rafael Viñoly damals dem "Guardian". Laut Viñoly gab es beim Bau des Gebäudes (ab 2009) keine Software, die das Problem adäquat hätte analysieren können. Visualisierer, die das Bauprojekt per Software nachmodellierten, hatten das Problem jedoch vorhergesagt. Auch in Deutschland müssen gelegentlich Bauvorhaben modifiziert werden, weil erst die Visualisierung, die eigentlich zu Marketingzwecken erfolgt, während der Bauphase Konstruktionsfehler offenbart.

Dieses “Prinzip Zufall” im Bau hat keine Zukunft in Europa. Der Baubranche ist bewusst, dass sie in digitale Technik und Prozesse investieren muss. Anders kann weder die steigende Nachfrage nach Wohnraum bedient werden, noch können kostspielige Fehlerketten wie beim Flughafen BER oder der Elbphilharmonie vermieden werden.

Bis zu 90 Prozent der öffentlichen Bauaufträge werden bereits elektronisch ausgeschrieben, die EU fördert aus Effizienzgründen aktiv digitale Ausschreibungen. Viele Baufirmen seien aber noch mit Papier, Telefon und Fax unterwegs, konstatierte die Unternehmensberatung Roland Berger im Jahr 2017. Die Digitalisierung werde schon sehr bald für alle Akteure der Wertschöpfungskette zur Schlüsselfrage. Von der Planung über die Materialzulieferer bis zum Hilfsarbeiter.

Das Walkie-Talkie-Building in London

BIM: planen-bauen 4.0

Spricht die Baubranche von Digitalisierung, meint sie zumeist "Building Information Modeling (BIM)". Darunter versteht man ein komplettes, digitales 3D-Modell des Gebäudes mit allen Planungs- und Baudaten. Vor dem Bau wird die komplette Baumaßnahme digital simuliert. Perspektivisch soll BIM als zentrales Tool das komplette Lifecycle-Management eines Gebäudes abbilden: Von der Planung über den Bau und die Fertigstellung, die Vermarktung und Instandhaltung bis zum Abriss.

Dies könnte künftig teure Fehlplanungen wie am Berliner Flughafen vermeiden helfen. Für den offenen Standard werden heute diverse Software-Lösungen angeboten, die meist auch Cloud-Funktionen beinhalten. Nach eigener Darstellung ist Autodesk der führende Anbieter für openBIM-Lösungen, die den reibungslosen Datenaustausch zwischen den Software-Angeboten verschiedener Hersteller gewährleisten sollen. Viele Unternehmen arbeiten jedoch bisher in sogenannten “closedBIM”-Systemen, die genau diesen Vorteil noch nicht bieten.

Deutschland liege bei der Einführung von BIM im globalen Vergleich um etwa fünf Jahre zurück, befanden die Verbände des Baugewerbes in einer gemeinsamen Stellungnahme. Die Politik beschleunigt nun: Ab 2020 sollen öffentliche Infrastrukturprojekte in Deutschland nur noch mit BIM gebaut werden. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erhofft sich davon neue Qualitätsstandards und mehr Effizienz. Allerdings: Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts nutzte 2017 noch weniger als ein Drittel der Baubranche BIM. Weitere 10 Prozent planten die Einführung. Auch Architekten und Ingenieure müssen sich massiv umstellen - ähnlich wie Anfang der 1980er Jahre, als CAD-Systeme das klassische Reißbrett ersetzten. Die bayerische Architektenkammer schätzt, dass 2017 erst 5 % der deutschen Architekten mit BIM arbeiteten.

Für die nahe Zukunft gilt also: Wer nicht mit BIM arbeitet, riskiert massive Wettbewerbsnachteile. Denn die kommunikation mit ihm wird zeitaufwändiger, abstimmungsintensiver und damit teurer. Das verstehen mittlerweile die meisten Beteiligten. Waren laut Roland Berger 2017 nur gut 30 Prozent der Baubranche von BIM überzeugt, waren es laut einer Befragung von PwC 2018 schon mehr als die Hälfte. Insgesamt ließen konkrete Umsetzungen zwar weiterhin auf sich warten. Roland Berger erwartet jedoch, dass sich der Markt für BIM-Anwendungen zwischen 2014 und 2022 vervierfachen wird: von 2,7 auf ca. 11,5 Milliarden Dollar.

Beschaffung und Logistik

Baumaterialien per Fax-Preisliste bewerten und per Telefon bestellen? Dass dies nicht effizient ist, haben inzwischen viele Unternehmen verstanden. So wickelt der schwedische Baukonzern Skanska bereits 40 Prozent seiner Materialbeschaffung über eine digitale Plattform ab. Der Baumaschinenhersteller Hilti erledigt seinen Einkauf über elektronische Kataloge. Allein das spart laut Roland Berger 5-10 Prozent der Kosten ein.

Die Produktion von Baustoffen bietet enormes Potenzial, sie erfolgt heute noch überwiegend mit klassischen Methoden. Das beginnt bei der digitalen Logistik, setzt sich fort über die Automatisierung der Produktion bis hin zur Qualitätskontrolle und Anlieferung.

Dabei zeigen erste Beispiele, dass digitale Services einen Mehrwert schaffen und damit die Kundenbindung erhöhen können: Der Dämmstoffspezialist Rockwool etwa bietet eine App, die sich an Architekten, Handwerker und Baustoffhändler richtet. Mittels Gebäudedaten und aktuellen Energiepreisen kann dort jeder das EInsparpotenzial einer Gebäudedämmung errechnen. Das führt nicht selten zur Entscheidung über ein solches Projekt.

Digitalisierung der Baustelle

Ein Handy dürfte so ziemlich jeder Bauarbeiter besitzen. Aber das macht noch keine digitale Baustelle. Laut Roland Berger entfallen auf der Baustelle nur rund 30 Prozent der Arbeitszeit auf die eigentlichen Aufgaben der Arbeiter. Die meiste Zeit verbringen sie mit Wegen, Transporten oder der Suche nach Material und Werkzeug.

Das macht sofort die Potenziale deutlich, die etwa in einer "just-in-time" Materialanlieferung nach dem Vorbild der Industrieproduktion liegen. Ein Bagger könnte über das "Internet der Dinge" einen freien Lkw rufen, wenn er benötigt wird. Der Lkw erfährt über das Netz, wann wo welches Baumaterial benötigt wird. Solche GPS-basierten IoT-Systeme könnten die Effektivität am Bau massiv steigern, sind aber noch lange nicht Standard. Der Baustoffhersteller Cemex bietet etwa an, den Zement-Füllstand im Container digital zu messen und bei Bedarf ohne Zutun des Kunden aufzufüllen.

Bau-Projektleiter verbringen zum Teil 90 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Kommunikation. Hier könnten Cloud-Lösungen die Effektivität erheblich steigern, indem relevante Datenstände sofort jedem Projektbeteiligten zur Verfügung stehen.
Baustellenvermessung per 3D-Laser setzen sich zunehmend durch. Sie vermessen nicht nur, sondern finden auch Wasser-und Stromleitungen und speisen diese Daten automatisch in Planungstools ein.

Robotik und 3D-Drucker

Robotik und 3D-Druck können Baukosten und Bauzeit massiv senken, wie Beispiele außerhalb Europas zeigen. In Australien ist Bau-Roboter "Hadrian" im Einsatz. Er wird mit 3D-Bauplänen gefüttert und kann ein Haus in 48 Stunden errichten. 3D-Drucker stellen anhand von Bauplänen Gebäudeteile aus Zement u.ä. her - direkt auf der Baustelle. In China arbeiten einige Baufirmen so. Dort dauert der "Druck" eines Mehrfamilienhauses zwei Tage, die Bauzeit verringert sich um 80 Prozent.

Durch Diebstahl auf Baustellen entstehen jährlich laut Bundesamt für Güterverkehr 138 Mio. Euro Schaden. Telekommunikationsunternehmen arbeiten hier an Lösungen - die aber erst teilweise serienreif sind. Vodafone stellte auf der Cebit 2018 eine komplette IoT-Baustelle vor. Dort werden etwa Kräne per 5G-Netz zentral ferngesteuert. Helme melden Erschütterungen an einen Gesundheitsdienst. Ein vernetzter Zaun meldet, wenn er umgestoßen oder beschädigt wird.

Bereits im Gleisbau erprobt ist ein Schweißroboter, den ein Arbeiter über eine App steuert. Er stellt eine glatte Schienenverbindung her und überwacht gleichzeitig die optimale Schweißtemperatur.

Renovierung: Digital ungleich agil

In der Wohnungswirtschaft liegen die Anfänge der Digitalisierung bereits lange zurück. Eine Berliner Wohnungsbaugesellschaft etwa wollte ab 2008 den kompletten wohnungsbezogenen Renovierungsprozeß bei Mieterwechsel auf ein digitales Portal heben. Ziel: Der Projektleiter erfasst den Zustand der Wohnung im Portal und beauftragt darüber den Handwerker. Der rechnet über das Portal anhand einer standardisierten Preisliste ab.

Die Abbildung aller Eventualitäten im Lastenheft führte zu einer mehrjährigen Projektlaufzeit und einer solitären, nur schwer skalierbaren Lösung. Lehrgeld: Agile Entwicklungsmethoden und ein MVP-Ansatz führen schneller und effizienter zum Ziel. Schon 10 Jahre zuvor setzte die Wohnungswirtschaft verstärkt auf das per Hand-Held-Computer befüllte, digitale Übergabeprotokoll. Im Rahmen von BIM und Smart Buildings liegt der Fokus heute nicht mehr darauf, analoge und teilanaloge Prozesse digital nachzubauen. Mittels Big Data und Predictive Maintenance sollen von vornherein effizientere Prozesse entstehen.

Ein Zurück gibt es nicht

Der Weg in die digitale Zukunft wurde bereits beschritten, auf Bestreben von Politik und Berufsverbänden - und vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs, der die deutsche Baubranche in Teilen überholt hat. Ein Zurück wird es nicht geben. Akteure der Bauwirtschaft wie der Immobilienverwaltung können es sich nicht mehr leisten, auf digitales Know-How zu verzichten. Von der Ausschreibung bis zur Wartung mittels smarter Gebäudetechnik - wer sich den neuen Standards verschließt, verliert in den kommenden Jahren seine Wettbewerbsfähigkeit.