Die nächste Plattform - und wie man sie entwickelt

29. April, 2020 / Thomas Schiller

Einige der erfolgreichsten Unternehmen der Welt sind Plattformen. Ihr Aufstieg inspiriert wöchentlich die Gründung neuer Startups oder Corporate Ventures, mit der Vision das „Amazon für diese oder jene Branche zu werden“. Vom Berater der Wahl mit 100 User-Storys ausgestattet und mit den ersten fünf Mitarbeitern in einem Coworking-Space soll es dann starten. Aber wie entwickelt man eigentlich eine Plattform?

 

Es gibt keine Blaupause dafür, wie man eine Plattform entwickelt und auch Best Practices sind, wenn überhaupt vorhanden, oftmals nur ein kollektives Bauchgefühl. Aber ganz egal, ob disruptive App, Branchen-Marktplatz oder neues Fintech-Startup, eine Herausforderung teilen sich alle dieser neuen Unternehmen: die Technologie.  

Als Agentur begleiten wir Unternehmen in dieser Phase, indem wir die technologische Basis der Plattformen mit ihnen konzipieren und die Software entwickeln. Dabei hat sich gezeigt, dass der Erfolg dieser Ventures und Startups vor allem von ihrer klaren Selbstverortung, der richtigen Onboarding-Strategie und einem langen Atem abhängt. Worauf man dabei achten sollte, erfahrt ihr hier.

 

Eine klare Selbstverortung

Plattformen wie Marktplätze, Fahrdienste oder soziale Netzwerke wirken auf den ersten Blick sehr unterschiedlich, funktionieren jedoch alle nach dem folgenden Prinzip:

Es gibt verschiedene Anbieter, die den Nutzern ihre Produkte oder Leistungen anbieten. Zudem gibt es den Plattformbetreiber, der die Infrastruktur dafür bietet. Dadurch werden Plattformen zu den Gatekeepern des Kundenzugangs.  

Konkret gesagt: AirBnB besitzt keine einzige Wohnung selbst, das Unternehmen bietet lediglich die Software für Anbieter und Nutzer, um Wohnungen zu inserieren und zu mieten. Wer seine Privatwohnung kurzzeitig vermieten will, ist gut daran bedient, dies gegen Kommission auf Airbnb zu tun, anstatt eine eigene Webseite zu starten und womöglich nie von potenziellen Kunden gefunden zu werden.  

Viele Plattformbetreiber sind auch als Anbieter auf ihrer eigenen Plattform aktiv und damit oftmals sehr erfolgreich. Dieser Erfolg beruht vor allem auf den Informationen und Daten von Anbietern, Angebot, Nutzern und Nachfrage, die sie durch den Betrieb sammeln. Prominentes Beispiel eines Unternehmens, das in einer solchen Doppelrolle aktiv ist, ist Netflix, welches 1997 als Online-Videothek startete und heute über 50 Prozent des neuen jährlichen Angebots aus der eigenen Filmproduktion auf der Plattform anbietet. Natürlich muss hier auch Amazon genannt werden, das nicht nur als Betreiber, sondern auch als Händler und seit 2009 mit Amazon Basics auch als Hersteller seiner eigenen Produkte auftritt.  

Diese bekannten Beispiele lassen leicht vergessen, dass sie nur aufgrund ihrer zugrundeliegenden Plattform-Infrastruktur entstehen konnten. Wer also vorhat, eine Plattform, wie beispielsweise einen Branchenmarktplatz, lediglich als weiteren Vertriebskanal für sich aufzubauen, läuft Gefahr, den Erfolg der ganzen Plattform aufs Spiel zu setzen. Man muss sich darauf konzentrieren, Mehrwerte für Nutzer und Anbieter zu schaffen und damit den Blick für das Wesentliche zu bewahren. Eine klare Selbstverortung als Spieler in der Mitte wird gerade während des Aufbaus dafür sorgen, die richtigen strategischen Weichen zu stellen.

 

Standalone-Value

Eine dieser Strategien besteht darin, die Plattform in ihrem ersten Schritt nur auf die Nutzer oder Anbieter auszurichten, indem man für eine der beiden Nutzergruppen einen eigenen Mehrwert schafft. Gerade Peer-to-Peer-Netzwerke, die primär auf den Nutzer ausgerichtet sind, wie zum Beispiel LinkedIn oder Facebook, kamen Anfangs auch gut ohne Recruiting-, Werbe- oder Spieleangebot aus, indem sie den Nutzern die Möglichkeit gaben, sich zu vernetzen und zu kommunizieren – auch wenn die erfolgreiche Monetarisierung der Plattform dann erst durch das zusätzliche Angebot möglich wurde.  

Dass ein solches Vorgehen auch umgedreht werden kann, zeigt derzeit das amerikanische Startup Shiftpixy. Mit dem Ziel, eine Plattform zur Minijob-Vermittlung via APP anzubieten, fokussiert sich Shiftpixy im ersten Schritt auf die Seite der Jobanbieter. Jedoch nicht, indem ihnen Vermittlungsleistungen angeboten werden, sondern mit einer Personalplanungs-Software, mit der die Anbieter, wie z.B. Restaurantbetreiber, ihre Schichten planen können. Die Software ist dabei so angelegt, dass freie Schichten mit einem Klick als Bedarf auf der Jobplattform landen könnten. Obwohl die dahinter liegende Plattform noch keine oder nicht ausreichend User hat, ist die Schichtplanungs-Software schon von Anfang an wertvoll für die Anbieter und somit vor der eigentlichen Plattform monetarisierbar.

 

Ein Netzwerk nutzen

Eine weitere Strategie liegt darin, ein bereits bestehendes Netzwerk zu nutzen, um von Beginn an ein großes Angebot auf der Plattform zu haben. Sicherlich nicht so kreativ, aber eindeutig effektiv. Dies funktioniert natürlich nur dann, wenn man über ein Netzwerk verfügt, das einen gewichtigen Marktanteil aufweist, und ist somit nur eine Option für etablierte Player. Die Corporate-Welt hat das Thema Plattformen zwar lange verschlafen, doch immer mehr Unternehmen fangen an, in Ventures zu investieren, um den bereits bestehenden Kundenzugang langfristig zu sichern. Dies tun sie häufig in Kooperationen mit anderen Marktbegleitern, um gemeinsam zentrale Plattformen zu entwickeln, was in vielen Branchen einen echten Paradigmenwechsel darstellt. Ein Beispiel einer solchen Plattform ist kollex, eine B2B-Getränkebestellplattform gemeinsam gegründet von Bitburger, Krombacher und Coca Cola, die auch gleichzeitig die Infrastruktur ihrer Großhändler digitalisiert. Win win.

 

Als Anbieter starten

Eine weitere Strategie ist, als Plattformbetreiber zunächst selbst als Händler aufzutreten und dadurch schon vor dem onboarden anderer Anbieter ein Angebot zu schaffen und Kunden zu akquirieren. So zum Beispiel von Amazon betrieben, das anfangs gestartet ist, um selbst Bücher zu verkaufen. Diese Strategie hat den großen Nachteil, dass sie besonders Ressourcenintensiv ist: der Aufbau von Kundenservice, Lager- und Vertriebsstrukturen ist ein Mammutprojekt. Zudem sind die reinen Plattform-Unternehmen im Kern Technologie-Unternehmen. Das auf der Plattform stattfindende Business ist davon in der Regel weit entfernt. Daher kam auch Amazons Fokus auf Bücher: Sie sind leicht zu lagern, zu transportieren und haben mitunter ein recht langes Haltbarkeitsdatum.

 

Intensiv, schwierig, doch trotz allem lohnenswert

Welchen dieser Wege neue Plattform-Ventures und Startups auch wählen werden. Die initiale Phase wird immer eine investitionsintensive Durststrecke sein. Das dem Modell innewohnende Potenzial lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass wir in naher Zukunft den Aufstieg neuer Plattformen sehen werden. In Berlin gibt es übrigens mit Jelbi, dem Projekt des Berliner Verkehrsverbunds (BVG), bereits eine Mobilitätsplattform, die, ähnlich wie tripgo in den USA, das Angebot anderer Mobilitätsplattformen wie MyTaxi, ShareNow und Uber in einer App vereint. Es dämmert bereits das Zeitalter der Plattform-Plattformen.

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Thomas Schiller, Senior Consultant
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