
Autoren: Sarah Hoidn & Philipp Tombor
Marktanalyse: Wie Digitalisierung den Wandel im Kfz-Aftermarket antreibt.
Die Automobilbranche befindet sich im radikalen Umbruch. Besonders der Kfz-Aftermarket, also das Geschäft mit Ersatzteilen und Serviceleistungen, wird von der Digitalisierung transformiert. Treiber sind digitale Vertriebskanäle, neue Geschäftsmodelle und Connectivity. Ein Marktüberblick.

Die Vorbereitung auf das Ungewisse
Wer das Auto zur Reparatur in die Werkstatt bringt, mag sich über exorbitante Ersatzteilpreise wundern. Kein Wunder also, dass Reparaturen und der Handel mit Autoteilen einen bedeutenden Teil der Gesamtumsätze der Automobilindustrie ausmachen. Die Unternehmensberatung Roland Berger schätzt, dass After-Sales-Dienstleistungen bis zu 80% zum Gesamtgewinn der Hersteller beitragen.
Während der Automobilmarkt in Deutschland stagniert, bietet das Geschäft mit Ersatzteilen und Serviceleistungen großes Potenzial: Allein in Europa müssen rund 400 Mio. Fahrzeuge, die im Schnitt neun Jahre alt sind, gewartet und repariert werden – ein Marktvolumen von rund 248 Mrd. Euro.
Und: Der Kfz-Aftermarket wächst weltweit. Laut McKinsey werde der Markt bis 2025 in China mit 8,1% jährlich weltweit am stärksten zulegen, wobei Europa mit 1,5% und Nordamerika mit 1,6% im Vergleich ein geringeres aber stetiges Wachstum aufweisen werden.
In Europa haben sich fünf große Einkaufsverbände [ATR, Temot International, ad international, Groupauto, VmA] gebildet, die gemeinsam einen Umsatz von mehr als 27 Mrd. Euro erreichen und fast alle europäischen Staaten abdecken. Da der Markt attraktive Investitionsmöglichkeiten bietet, engagieren sich seit 2012 vermehrt auch Private-Equity-Gesellschaften bei Akquisitionen und Beteiligungen.
Konsolidierungen und neue Akteure verändern den Kfz-Aftermarket
Der Markt erfährt eine immense Konsolidierungswelle. Wettbewerbsführer in Europa sind international agierende Teilegroßhändler, die den Markt prägen. Gleichzeitig häufen sich Firmenübernahmen unter Beteiligung der größten Player, die kleinere Firmen kaufen und untereinander aktiv sind. Daraus ergeben sich Skalen- und Synergieeffekte. McKinsey schätzt, dass 9 von 10 der umsatzstärksten noch unabhängigen Aftermarket-Händler in den letzten 5 Jahren in Konsolidierungsaktivitäten verwickelt waren.
Der europäische Markt wirkt im Vergleich zu den USA allerdings noch stark fragmentiert. Die drei größten Aftermarket-Unternehmen in Europa haben aktuell nur 15% Marktanteil. In den USA sind es bereits nahezu 50%. Eine Entwicklung in dieselbe Richtung zeichnet sich auch in Europa ab.
EXKURS. Überblick des Kfz-Teilemarkts: OEMs, IAM & Co.

Der Aftermarket besteht aus dem Original Equipment Manufacturer-Segment [OEM] und dem Independent Aftermarket [IAM] [Siehe Grafik 1]. Beide Segmente haben eigene Vertriebskanäle, die den Endkonsumenten erreichen.
Im Vergleich zur OEM-Vertriebskette ist der unabhängige Aftermarket vielseitiger aufgestellt. Hier tummeln sich wesentlich mehr Akteure mit Herstellern, Händlern und Werkstätten, die sowohl klassische, als auch digitale Vertriebskanäle bedienen. Allerdings ist bei den OEMs gerade die größte Bewegung auszumachen: Sie drängen aggressiv in den Aftermarket.
Digitalisierung ist bedeutendster Megatrend der Kfz-Teile-Branche
Roland Berger und die HSH Nordbank AG sprechen von vier Megatrends für den Teilemarkt: Mobilität, Autonomes Fahren, Elektrifizierung und Digitalisierung. Diese Entwicklungen dynamisieren die gesamte Branche mit ihren Akteuren und verstärken den Handlungsbedarf.
Die Digitalisierung übt wohl den stärksten Einfluss auf den Wandel der Kfz-Teile-Branche aus. Sie pflügt ganze Geschäftsmodelle, Vertriebskanäle und Services bis hin zum Kundenzugang und der Kommunikation zwischen Kunden und Auto regelrecht um. Treiber sind digitale Vertriebskanäle, neue Geschäftsmodelle und Connectivity.
Digitaler Vertrieb
Auch wenn der digitale Vertrieb von Kfz-Teilen aktuell noch gering ausfällt, ist ein rasantes Wachstum zu erwarten: in der DACH-Region liegt der Anteil von online am Gesamtumsatz zwischen lediglich 5 bis 12%. In Großbritannien hingegen erreicht der Anteil über Online-Kanäle bereits um die 20%.
Aktuell ist Kftzeile24.de der größte online Markteilnehmer [155 Mio EUR/2018] in Deutschland. Darauf folgen pkwteile.de, atu.de und atp-autoteile.de. Auch auf online Marktplätzen [wie Amazon und ebay Motors] werden Ersatzteile vertrieben, die vorrangig die Endkunden ansprechen. Wie man bereits vermuten kann, beschränken sich die Online-Käufe im B2C-Bereich auf Lowtech-Produkte, die einfach zu verbauen sind, wie Scheibenwischerblätter, Glühbirnen oder Filter. Umständliche und größere Reparatur- und Wartungsarbeiten überlassen Endkunden der Werkstatt, welche auch die Bestellung übernimmt. Preissensible Kunden, die Teile selbst online kaufen und diese von einer Werkstatt einbauen lassen, bilden die Ausnahme.
Neue Geschäftsmodelle & intelligente Autos
Trends im Automobil-Aftermarket sind für etablierte Player Bedrohung und Chance zugleich – Chance, wenn früh Möglichkeiten ergriffen werden, neue Technologien und Geschäftsmodelle zu integrieren; Bedrohung wenn diese verpasst werden. Diejenigen, die früh zu handeln bereit sind und strategische Entscheidungen treffen, werden langfristig erfolgreich sein.
Zu den neuen, digitalen Entwicklungen zählen unter anderem digitale Zwillinge. Das bedeutet, Fahrzeuge und ihre Teile werden virtuell abgebildet und ermöglichen so kontinuierlichen Datenaustausch. Hinzukommen automatisiertes Bestands-Management, selbstoptimierende Produktion und Internet of Things [IoT].
IoT heißt für den Aftermarket: intelligente, vernetzte Autos [Connected Cars], die ein vollautomatisiertes Wartungsmanagement ermöglichen. Das amerikanische Unternehmen CarForce bietet hierfür beispielsweise cloud-basierte SaaS Service-Lösungen für Hersteller und Kunden, indem Echtzeit-Daten bereitgestellt und Diagnosen aus der Ferne durchgeführt werden.
Das US-amerikanische Marktforschungsinstitut Gartner Inc. schätzt, dass bis 2020 über 250 Millionen intelligent vernetzte Autos auf den Straßen fahren werden. Zudem steckt großes Potenzial im Flottenmanagement mithilfe des IoT.
Die Digitalisierung ermöglicht es neuen Akteuren [wie Online-Händlern, Versicherungen, Automobilclubs oder Online-Plattformen], die Nische zwischen Werkstatt und Endkunden mit innovativen Geschäftsmodellen zu füllen. Aktuell dominieren wenige, große Digital-Unternehmen [allen voran Amazon und Google] den IoT-Markt und erschweren es anderen Akteuren in der Wertschöpfungskette ihren Platz zu verteidigen. In den kommenden Jahren ist das Eintreten neuer Player zu erwarten, was den kompetitiven Druck weiter verschieben wird und den Handlungsbedarf für etablierte Aftermarket-Akteure deutlich erhöht.
Software wird mehr und mehr zum zentralen Bestandteil von Fahrzeugen. McKinsey liefert ein extremes Szenario, in dem Software-Expertise nicht nur Kompetenz, sondern zur Kernkompetenz wird: Konventionelle und rein auf Mechanik fokussierte Werkstätten finden möglicherweise keinen Platz mehr in den zukünftigen Strukturen des Aftermarkets.
Wie in sämtlichen von der Digitalisierung betroffenen Branchen werden Service und Kundenzentrierung auch in der Automobilbranche immer relevanter. Mehr als 50% der Branchenexperten erwarten laut McKinsey, dass Aftermarket-Services wichtiger werden als die Kfz-Teile an sich. Marktteilnehmer, die ihre Kunden und deren Bedürfnisse verstehen, schaffen sich erhebliche Wettbewerbsvorteile. Das war bereits in anderen Branchen zu beobachten.
Marktakteure müssen Kunden stärker ansprechen und benötigen mehr Serviceorientierung
Der Kfz-Aftermarket in Europa wird zunehmend konsolidierter und investitionsgetriebener. Gewinnverschiebungen werden durch neue [digitale] Player weiter forciert, welche dank innovativen Geschäftsmodellen Marktnischen besetzen und so den Wettbewerbsdruck weiter erhöhen.
Wenn entlang der Wertschöpfungskette disruptiert wird, wirft das Fragen zur Zukunft der bestehenden Akteure auf: Wie können etablierte Marktteilnehmer mit dem Wandel umgehen und nachhaltig agieren?
Der Kfz-Teilemarkt steht vor der Aufgabe, den Endkunden stärker anzusprechen und einzubinden und sich Service-orientierter aufzustellen. Sowohl Independent Aftermarket als auch OEMs tun gut daran, das eigene Geschäftsmodell zu reflektieren, um strategisch sowie technologisch auf der Höhe der Zeit zu bleiben – und wenn schon nicht First- dann immerhin Second-Mover in der Kfz-Teile-Branche zu werden.